Nicht geleisteten Kindesunterhalt gegenrechnen – das klingt zunächst logisch, wenn man für zwei Kinder aufkommt, aber nur für eines Unterhalt erhält. Doch was sagt das deutsche Unterhaltsrecht dazu, wenn ein Elternteil doppelt belastet wird, weil der andere seiner Zahlungspflicht nicht nachkommt?
Familiäre Unterhaltspflichten im Ungleichgewicht
In Patchwork- oder Trennungsfamilien ist es nicht ungewöhnlich, dass Kinder bei verschiedenen Elternteilen leben. Doch wenn ein Elternteil den Kindesunterhalt regelmäßig zahlt, während der andere nichts leistet, entsteht schnell ein Gefühl von Ungerechtigkeit. Genau das erlebt ein Vater in dem Fall, den wir hier analysieren: Zwei Kinder, eines lebt bei ihm, eines bei der Mutter – er zahlt, sie nicht. Darf er das fehlende Geld einfach “verrechnen”? Leider nicht so einfach.
Rechtlicher Anspruch bleibt beim Kind
Kindesunterhalt ist ein Anspruch des Kindes, nicht der Eltern. Das bedeutet: Auch wenn beide Eltern jeweils ein Kind betreuen, können diese Ansprüche nicht direkt gegeneinander aufgerechnet werden. Juristisch betrachtet handelt es sich um voneinander unabhängige Forderungen. Grundlage ist § 1601 BGB, der beide Elternteile verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten zum Unterhalt beizutragen – entweder durch Bar- oder Naturalunterhalt.
Unterhalt als Verteilungsproblem
Doch was passiert, wenn einer von beiden nicht zahlt? Hier greift der Gedanke der sogenannten “Ausfallhaftung”. Das bedeutet: Wenn ein Elternteil keinen Barunterhalt leistet, springt oft der andere – in diesem Fall der betreuende Vater – vollständig ein. Das kann zu einer erheblichen finanziellen Doppelbelastung führen. Nach Maßgabe des Unterhaltsrechts wirkt sich das jedoch nicht als direkte Einkommensminderung aus. Die Düsseldorfer Tabelle, die sich auf § 1610 BGB stützt, setzt auf objektive Einkommensverhältnisse und erlaubt keine subjektiven Abzüge für nicht erhaltene Zahlungen.
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Was gilt als bereinigungsfähig?
Im Rahmen der Unterhaltsberechnung wird das sogenannte bereinigte Nettoeinkommen angesetzt. Abziehbar sind dabei insbesondere berufsbedingte Aufwendungen, Schulden, Altersvorsorgebeiträge – aber keine freiwilligen oder notgedrungenen Zahlungen für eigentlich Dritte. Der nicht gezahlte Kindesunterhalt der Kindesmutter fällt in keine dieser Kategorien. Selbst wenn er faktisch geleistet wird, weil der Vater doppelt einspringt, ist das aus Sicht des Gerichts kein bereinigungsfähiger Posten.
Ausnahme im Mangelfall?
Ein Sonderfall liegt vor, wenn sich der Unterhaltspflichtige im sogenannten Mangelfall befindet, also sein Einkommen nicht für alle Unterhaltspflichten ausreicht. Dann wird das Einkommen unter allen gleichrangigen Unterhaltsberechtigten proportional aufgeteilt (§ 1603 Abs. 1 BGB). Das bei ihm lebende Kind zählt hier mit. Auch wenn das nicht zu einer direkten Verrechnung führt, kann es die Unterhaltshöhe für das bei der Mutter lebende Kind faktisch reduzieren.
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Beistandschaft beim Jugendamt
Ein gängiger Weg ist die Einrichtung einer Beistandschaft beim Jugendamt für das Kind, das beim Vater lebt. Damit kann der Anspruch gegen die Mutter professionell verfolgt werden – notfalls bis zur Zwangsvollstreckung. Unter § 1712 BGB ist das Jugendamt berechtigt, in solchen Fällen stellvertretend tätig zu werden. Ein entsprechender Antrag kann jederzeit gestellt werden und ist auch rückwirkend möglich, sofern der Bedarf nachgewiesen wird.
Unterhaltsvorschuss als Zwischenlösung
Falls die Mutter nachweislich nicht leistungsfähig ist oder die Durchsetzung langwierig ist, bietet der Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) eine wichtige Alternative. Bis zum 18. Lebensjahr kann das Kind hier Zahlungen vom Staat erhalten – aktuell bis zu 395 €
monatlich. Dieser Anspruch steht jedoch dem Kind zu und nicht dem Vater. Er kann aber entlastend wirken, wenn man in Vorleistung gegangen ist.
Prozessuale Besonderheiten
Im vorliegenden Fall läuft bereits ein Gerichtsverfahren – sogar in zweiter Instanz beim Oberlandesgericht. Wichtig dabei: Wer bereits über das Amtsgericht einen Unterhaltstitel erstritten hat, kann auf dieser Grundlage vollstrecken lassen. Ein paralleles laufendes Verfahren entbindet nicht von der Pflicht zur Zahlung durch den anderen Elternteil. Solange kein abweichendes Urteil ergeht, zählt der bestehende Titel als vollstreckbare Grundlage.
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Einfluss auf die eigene Zahlungspflicht
Trotz der doppelten Belastung wird die eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem zweiten Kind nicht einfach verringert. Die Gerichte legen weiterhin das bereinigte Nettoeinkommen zugrunde – ohne Rücksicht auf nicht eingegangene Unterhaltsleistungen der Gegenseite. Das bedeutet: Selbst wenn der Vater für beide Kinder aufkommt, bleibt seine Verpflichtung zur Zahlung gegenüber dem jüngeren Kind bestehen.
Eventuell niedrigere Einstufung
Die einzige realistische Auswirkung: Wenn das Einkommen unter die nächste Stufe der Düsseldorfer Tabelle sinkt, kann sich die Zahlungspflicht verringern. Aber das ist eine Folge des objektiven Einkommensniveaus, nicht der fehlenden Zahlung der Mutter. Insofern ist die indirekte Berücksichtigung des finanziellen Aufwands möglich, aber nicht im Sinne einer Verrechnung oder Abzugsposition.
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Dass sich viele Betroffene ungerecht behandelt fühlen, ist nachvollziehbar. Wer jahrelang für zwei Kinder aufkommt und vom anderen Elternteil keine Unterstützung bekommt, erlebt dies als doppelte Strafe. Doch das Unterhaltsrecht in Deutschland stellt das Kind und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt – nicht die subjektive Fairness der Eltern. Das macht die Regelung oft schwer zu akzeptieren, aber sie dient letztlich dem Schutz des Kindeswohls.
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Bisher gibt es keine höchstrichterliche Entscheidung, die eine Verrechnung nicht gezahlten Kindesunterhalts im Sinne einer Einkommensbereinigung erlaubt. Die einschlägige Rechtsprechung – etwa des BGH (Az. XII ZR 120/10) – betont regelmäßig, dass die jeweiligen Unterhaltsansprüche eigenständig zu behandeln sind. Selbst eine freiwillige Aufrechnung beider Elternteile ist rechtlich nicht verbindlich und kann jederzeit widerrufen werden.
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Nicht geleisteten Kindesunterhalt gegenrechnen zu wollen, ist ein verständlicher Impuls, wenn ein Elternteil seit Jahren allein für zwei Kinder aufkommt und keinerlei Unterstützung vom anderen erhält. Doch rechtlich ist dieses Anliegen nicht umsetzbar. Der Unterhaltsanspruch gehört ausschließlich dem Kind, nicht dem betreuenden Elternteil – eine direkte Verrechnung ist daher ausgeschlossen.
Allerdings lässt sich diese Belastung in bestimmten Fällen – etwa im Mangelfall – mittelbar berücksichtigen, indem das Kind, das beim zahlenden Elternteil lebt, bei der Unterhaltsverteilung mitgezählt wird. Die finanzielle Realität bleibt dennoch oft belastend. Deshalb ist es umso wichtiger, rechtzeitig Schritte wie die Beistandschaft oder den Unterhaltsvorschuss in die Wege zu leiten. Wer nicht gleisteteten Kindesunterhalt gegenrechnen möchte, sollte wissen: Der rechtliche Weg führt nicht über Verrechnung, sondern über konsequente Geltendmachung der Ansprüche.
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Was bedeutet „Nicht geleisteten Kindesunterhalt gegenrechnen“ eigentlich konkret?
Es geht dabei um den Versuch, den fehlenden Barunterhalt des anderen Elternteils – also eine finanzielle Lücke – bei der eigenen Unterhaltspflicht einkommensmindernd zu berücksichtigen. Das Ziel ist es, dadurch weniger für das andere Kind zahlen zu müssen.
Kann ich den fehlenden Unterhalt einfach von meinem Einkommen abziehen?
Nein. Der Unterhalt für das eigene Kind wird anhand des bereinigten Nettoeinkommens berechnet. Der nicht geleistete Kindesunterhalt der Gegenseite gehört nicht zu den abziehbaren Posten – selbst wenn man dadurch doppelt belastet ist.
Wird das bei mir lebende Kind überhaupt berücksichtigt?
Ja, allerdings nicht durch Verrechnung. Es wird bei der sogenannten Bedarfskontrollrechnung mitgezählt – insbesondere, wenn das Einkommen nicht für beide Kinder ausreicht. Dann kann sich die Unterhaltshöhe durch die Einbeziehung des weiteren Kindes verringern.
Gilt das auch, wenn ich einen Unterhaltstitel gegen die Mutter habe?
Ja, selbst mit einem vollstreckbaren Titel kann man nicht einfach gegenrechnen. Der Titel begründet einen Anspruch des Kindes, nicht des betreuenden Elternteils. Solange die Gegenseite nicht zahlt, bleibt der eigene Anspruch unverändert bestehen.
Welche Rolle spielt der Unterhaltsvorschuss?
Der Unterhaltsvorschuss kann als staatliche Leistung einspringen, wenn ein Elternteil keinen Unterhalt zahlt. Er wird beim Jugendamt beantragt und kann für Kinder bis 18 Jahre gewährt werden – aktuell bis zu 395 €
pro Monat.
Gibt es eine gesetzliche Grundlage für die Ablehnung der Verrechnung?
Ja. § 1601 BGB regelt die gleichwertige Unterhaltspflicht beider Eltern. Der BGH hat zudem klargestellt, dass Kindesunterhalt nicht verrechenbar ist (z. B. BGH XII ZR 120/10).
Was passiert, wenn mein Einkommen zu gering ist?
Dann greift die sogenannte Mangelfallregelung. Nach § 1603 BGB wird das verfügbare Einkommen anteilig auf alle gleichrangigen Unterhaltsberechtigten aufgeteilt – das kann die Unterhaltspflicht tatsächlich mindern, aber eben nicht aufgrund fehlender Zahlungen der Gegenseite.
Wie hilft mir eine Beistandschaft beim Jugendamt?
Das Jugendamt kann im Rahmen einer Beistandschaft die Unterhaltsansprüche des bei Ihnen lebenden Kindes geltend machen – inklusive Titulierung und Vollstreckung. Sie entlasten sich damit von der rechtlichen Durchsetzung.
Was kann ich tun, wenn ich mich ungerecht behandelt fühle?
Auch wenn das System manchmal unfair erscheint, sollten Sie nicht eigenmächtig handeln. Holen Sie sich anwaltlichen Rat und nutzen Sie offizielle Wege wie Beistandschaft und Vorschuss. Eine Gegenrechnung ist keine rechtlich zulässige Option.
Ist eine freiwillige Verrechnung mit Zustimmung der Mutter möglich?
Theoretisch ja – praktisch selten. Solche Vereinbarungen sind rechtlich nicht bindend und können jederzeit widerrufen werden. Sie bieten keine Sicherheit und ersetzen keinen Unterhaltstitel.
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