Ausziehen wegen Gewalt – das klingt hart, ist aber manchmal der einzige Ausweg. Wenn du in Angst lebst, hast du nicht nur das Recht auf Hilfe, sondern auch Anspruch auf Schutz. Hier liest du, was rechtlich möglich ist und wie du die ersten Schritte machst, auch wenn du noch minderjährig bist.
Gewalt in der Familie – ein konkreter Fall
In einem erschütternden Erfahrungsbericht meldet sich ein 13-jähriges Mädchen, das seit sechs Jahren unter häuslicher Gewalt leidet. Der Vater sei unberechenbar, laut, drohend – und nicht davor zurückgeschreckt, auch körperlich übergriffig zu werden. Die Mutter reagiert kaum, obwohl sie von allem weiß. Besonders tragisch: Das Mädchen und ihre gleichaltrige Schwester erleben regelmäßig psychische und physische Gewalt, ohne dass jemand aktiv eingreift. Ihre Angst ist so groß, dass der Wunsch, auszuziehen, immer lauter wird. Doch was kann man tun, wenn man noch nicht volljährig ist?
Namensänderung Bindestrich im Vornamen möglich? 👆Minderjährige mit Gewalt konfrontiert
Die Situation ist keine Ausnahme – und genau deshalb gibt es klare gesetzliche Regelungen zum Kinderschutz.
Recht auf gewaltfreies Aufwachsen
Gemäß § 1631 Abs. 2 BGB haben Kinder ein gesetzlich verankertes Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Jede Form körperlicher oder seelischer Gewalt – also auch ständiges Anschreien, Drohen oder psychisches Einschüchtern – ist unzulässig. Wird dieses Recht verletzt, darf das Jugendamt eingreifen.
Kindeswohlgefährdung erkennen
Von einer Kindeswohlgefährdung spricht man, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes so beeinträchtigt wird, dass eine nachhaltige Schädigung droht (§ 1666 BGB). Das trifft auf den oben geschilderten Fall eindeutig zu. Ein Kind muss keine Schläge hinnehmen, und auch Angstzustände oder ständiges Bedrohtsein zählen als ernstzunehmende Gefährdung.
Eingreifen des Jugendamts
Das Jugendamt hat die Aufgabe, Minderjährige vor Gefahr zu schützen. In akuten Fällen darf es nicht nur beratend tätig werden, sondern auch Maßnahmen wie die Unterbringung in einer Inobhutnahmeeinrichtung anordnen (§ 42 SGB VIII). Kinder dürfen sich direkt an das Jugendamt wenden – ohne Einwilligung der Eltern. Eine Meldung kann telefonisch, schriftlich oder persönlich erfolgen.
Zahlung Haus nach Auszug rechtens? 👆Möglichkeiten, aus der Gewalt auszuziehen
Auch wenn man unter 18 ist, gibt es Wege, sich aus einer gefährlichen Familiensituation zu befreien.
Vertrauenslehrer als erste Anlaufstelle
Gerade für Schülerinnen und Schüler sind Vertrauenslehrerinnen und -lehrer oft die erste Möglichkeit, über ihre Not zu sprechen. Sie können nicht nur zuhören, sondern aktiv helfen, den Kontakt zu Beratungsstellen oder dem Jugendamt herzustellen.
Kinder- und Jugendtelefon nutzen
Die Nummer gegen Kummer (116111) ist anonym und kostenlos erreichbar. Sie bietet nicht nur ein offenes Ohr, sondern konkrete Hilfe. Auch über Chat oder Mail sind Kontakte möglich – für viele Kinder und Jugendliche ein erster, sicherer Schritt.
Recht auf Inobhutnahme
Wenn die Lage zu Hause unerträglich ist, dürfen Kinder in Obhut genommen werden – das bedeutet, dass das Jugendamt sie aus der Familie herausnimmt und vorübergehend in einer Einrichtung oder Pflegefamilie unterbringt. Dafür braucht es keine Anzeige gegen die Eltern, sondern lediglich eine glaubwürdige Schilderung der Gefährdung.
Unterhaltszahlung neu berechnen lassen? 👆Schulbesuch und finanzielle Sorgen
Viele Kinder fürchten sich vor dem Auszug nicht nur wegen der familiären Trennung, sondern auch wegen Schule und Geld. Auch hier gibt es Lösungen.
Privatschule trotz Auszug?
Selbst wenn ein Kind in Obhut genommen wird oder in eine Pflegefamilie zieht, kann es weiter seine bisherige Schule besuchen – besonders, wenn damit ein Gefühl von Stabilität verbunden ist. Das Jugendamt prüft dabei, ob eine tägliche Anfahrt möglich ist oder ein Schulwechsel notwendig wird.
Kostenübernahme durch Jugendamt
Unterbringung, Verpflegung, Schulmaterialien – all das kann vom Jugendamt übernommen werden (§ 91 SGB VIII). In Einzelfällen kann sogar das Schulgeld einer Privatschule weitergezahlt werden, wenn dies dem Kindeswohl dient. Hierzu müssen gute Gründe vorliegen, etwa die Gefahr, dass ein Schulwechsel das Kind zusätzlich destabilisiert.
Umgang mit dem schlechten Gewissen
Kinder, die sich Hilfe holen, tragen keine Schuld. Auch wenn Eltern weinen, drohen oder sich hilflos zeigen – die Verantwortung liegt nicht bei dem Kind. Das Gesetz steht auf ihrer Seite. Gefühle von Schuld oder Angst sind menschlich, aber sie dürfen nicht davon abhalten, das eigene Leben zu schützen.
Unterhalt Sorgerecht Umgang – Rechte klären 👆Wenn die Mutter nicht handelt
Im geschilderten Fall möchte die Mutter sich nicht vom Vater trennen, obwohl dieser offen eine Zweitbeziehung führt und gewalttätig ist.
Rechtliche Einschätzung
Auch wenn Eltern zusammenbleiben, obwohl ein Elternteil gewalttätig ist, kann das Jugendamt handeln. Die Untätigkeit eines Elternteils – hier der Mutter – kann als Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gewertet werden. Denn Kinder haben das Recht auf Schutz, nicht nur vor Fremden, sondern auch innerhalb der Familie.
Beratungsangebote für Mütter
Nicht jede Mutter ist sofort in der Lage, sich von einem gewalttätigen Partner zu trennen – aus finanziellen oder emotionalen Gründen. Es gibt Beratungsstellen wie den Deutschen Kinderschutzbund, die speziell Mütter unterstützen, wenn sie unsicher sind, wie sie handeln können. Auch dies kann für das Kind eine Entlastung sein, wenn die Mutter beginnt, Verantwortung zu übernehmen.
Ex behauptet Sachen fehlen nach Auszug 👆Rechtliche Schritte gegen den Vater
Auch Kinder dürfen sich gegen gewalttätige Eltern zur Wehr setzen.
Strafanzeige und Gewaltschutz
In schweren Fällen kann – auch über einen Vormund oder das Jugendamt – eine Strafanzeige wegen Körperverletzung oder Bedrohung (§ 223, § 241 StGB) gestellt werden. Zudem kann beim Familiengericht ein Gewaltschutzantrag gestellt werden, etwa mit dem Ziel, dem Vater den Zugang zur Wohnung oder zur Schule des Kindes zu untersagen (§ 1 GewSchG).
Unterstützung durch Anwälte oder Verfahrensbeistände
Wenn es zu gerichtlichen Verfahren kommt, erhalten Kinder in der Regel einen Verfahrensbeistand – eine Art Anwalt fürs Kind. Diese Person vertritt die Interessen des Kindes gegenüber Eltern und Gericht und sorgt dafür, dass die Stimme des Kindes gehört wird.