Kindesunterhalt bei ungleichem Einkommen ist ein sensibles Thema, das immer wieder für Streit sorgt. Besonders brisant wird es, wenn der betreuende Elternteil deutlich mehr verdient als der barunterhaltspflichtige. Doch was sagt das Gesetz – und was hat der BGH dazu entschieden?
Hintergrund zum rechtlichen Problem
Wenn ein Elternteil deutlich mehr verdient, stellt sich schnell die Frage, ob der andere überhaupt noch unterhaltspflichtig ist. Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hat genau dazu für Aufsehen gesorgt – allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.
Relevanz des BGH-Urteils
Das oft zitierte BGH-Urteil (Beschluss vom 9. Oktober 2013 – XII ZB 299/12) besagt: Wenn der betreuende Elternteil ein mehr als dreifach so hohes bereinigtes Nettoeinkommen hat wie der barunterhaltspflichtige, kann die Pflicht zur Zahlung entfallen. Dies gilt jedoch nur, wenn der Unterhaltspflichtige grundsätzlich leistungsfähig ist.
Voraussetzungen für die Anwendung
Entscheidend ist, dass es sich bei dem Urteil nicht um eine automatische Freistellung handelt. Zunächst muss ein Unterhaltsanspruch überhaupt bestehen – also Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit gegeben sein. Fehlt einer dieser Punkte, etwa wegen Erwerbsunfähigkeit, kommt man gar nicht erst zur Anwendung dieses Urteils.
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Ein Vater mit nur 990 € Erwerbsminderungsrente soll eventuell Unterhalt zahlen, obwohl die Mutter über 4.000 € netto verdient. Die Konstellation scheint zunächst klar: Hoher Einkommensunterschied, regelmäßige Betreuung durch beide – passt das zum BGH-Urteil?
Bedeutung der Erwerbsunfähigkeit
Ein Elternteil, der wegen einer dauerhaften Behinderung erwerbsunfähig ist und eine entsprechende Rente erhält, gilt in der Regel als nicht leistungsfähig im Sinne des § 1603 Abs. 1 BGB. Das heißt: Schon aus diesem Grund besteht gar keine Pflicht zur Zahlung, unabhängig vom Einkommen des anderen Elternteils.
Unterhaltspflicht trotz Behinderung?
Auch wenn Erwerbsunfähigkeit besteht, reicht ein pauschaler Hinweis auf die Rente nicht aus. Der BGH stellt in ständiger Rechtsprechung klar, dass man Art und Umfang der Einschränkungen konkret darlegen muss. Siehe dazu BGH, Beschluss vom 9. November 2016 – XII ZB 227/15. Die bloße Vorlage eines Rentenbescheids genügt nicht.
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Der Selbstbehalt ist die Grenze, unter der kein Unterhalt mehr zu leisten ist. Für erwerbsunfähige Unterhaltspflichtige liegt dieser aktuell bei 1.200 € (Stand 2025). Der Vater im fiktiven Fall liegt also unterhalb dieses Werts und wäre schon deshalb nicht leistungsfähig.
Schulden durch Unterhaltsvorschuss?
Ein häufiges Missverständnis: Wenn das Jugendamt Unterhaltsvorschuss zahlt, könne sich ein Schuldenberg beim Unterhaltspflichtigen aufbauen. Das ist jedoch nur der Fall, wenn ein Unterhaltstitel existiert und der Vater leistungsfähig wäre. Ansonsten greift § 7 UVG – keine Rückforderung bei fehlender Leistungsfähigkeit.
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Ob überhaupt ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss besteht, hängt vom Betreuungsverhältnis ab. Bei annähernd paritätischer Betreuung – wie im Beispiel mit drei Tagen beim Vater und vier Tagen bei der Mutter – kann der Anspruch verneint werden. Die Kasse prüft hier sehr genau.
Beteiligung beider Elternteile
Laut § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB erfüllt der betreuende Elternteil seine Unterhaltspflicht durch Pflege und Erziehung. Aber sobald sich die Betreuungszeit weitgehend annähert, kann auch er zur Barunterhaltspflicht herangezogen werden – vor allem, wenn er deutlich mehr verdient.
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Die zitierte Entscheidung des BGH kann nur greifen, wenn der Vater grundsätzlich unterhaltspflichtig wäre – also leistungsfähig. Da dies hier nicht der Fall ist, bleibt es bei der fehlenden Pflicht zur Zahlung. Die Entscheidung der Mutter, dennoch Unterhaltsvorschuss zu beantragen, hätte keinen Erfolg.
Was bedeutet das für Betroffene?
Wichtig ist, dass der betroffene Elternteil frühzeitig seine fehlende Leistungsfähigkeit gegenüber dem Jugendamt oder der Unterhaltsvorschusskasse offenlegt. Andernfalls kann es zu unnötigen Verfahren oder sogar zu titulierten Forderungen kommen, die später schwer zu beseitigen sind.
Abgrenzung zur echten Anwendung des Urteils
Nur wenn alle drei Voraussetzungen – Bedarf, Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit – vorliegen, kommt die Prüfung, ob das Einkommen des anderen Elternteils die Grenze von Faktor 3 übersteigt, überhaupt zum Tragen. In unserem Fall bleibt es jedoch bei einer klaren Nichtverpflichtung.
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Kindesunterhalt bei ungleichem Einkommen ist ein rechtlich komplexes Feld, das von mehreren Faktoren abhängt – insbesondere von der Leistungsfähigkeit des barunterhaltspflichtigen Elternteils. Im hier behandelten fiktiven Fall ist der Vater aufgrund einer dauerhaften Erwerbsminderung nicht leistungsfähig und fällt somit aus dem System der klassischen Unterhaltspflicht heraus. Das vielzitierte BGH-Urteil greift in diesem Zusammenhang nicht, weil es voraussetzt, dass grundsätzlich eine Zahlungspflicht besteht. Die besserverdienende Mutter kann daher nicht automatisch zur alleinigen Barunterhaltszahlung verpflichtet werden, sondern trägt die Verantwortung aus ihrer ohnehin bestehenden Betreuungsleistung und finanziellen Lage. Wer in einer ähnlichen Situation ist, sollte sich frühzeitig beraten lassen, um Missverständnisse und unnötige Schulden zu vermeiden. Denn Kindesunterhalt bei ungleichem Einkommen bedeutet nicht automatisch: Der „Reiche“ zahlt immer – sondern: Es kommt auf die Details an.
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Muss ich Kindesunterhalt zahlen, wenn ich unter dem Selbstbehalt liege?
Wenn Ihr Einkommen unter dem aktuellen Selbstbehalt liegt – bei Erwerbsunfähigkeit derzeit 1.200 € monatlich – sind Sie grundsätzlich nicht leistungsfähig im Sinne des § 1603 BGB. In diesem Fall besteht keine Pflicht zur Zahlung von Kindesunterhalt bei ungleichem Einkommen, unabhängig vom Einkommen des anderen Elternteils.
Gilt das BGH-Urteil auch bei Erwerbsunfähigkeit?
Nein. Das Urteil des BGH vom 9. Oktober 2013 setzt voraus, dass eine grundsätzliche Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen besteht. Bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit wird gar nicht geprüft, ob das Einkommen des betreuenden Elternteils dreimal höher ist. Der Kindesunterhalt bei ungleichem Einkommen entfällt hier bereits mangels Leistungsfähigkeit.
Zahlt das Jugendamt Unterhaltsvorschuss trotz Erwerbsunfähigkeit?
Unterhaltsvorschuss nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) wird unabhängig von der Leistungsfähigkeit gezahlt, wenn der betreuende Elternteil allein erzieht und der andere keinen Unterhalt leistet. Die Rückforderung entfällt jedoch bei nachgewiesener Unfähigkeit zur Zahlung, was etwa bei dauerhafter Erwerbsunfähigkeit der Fall sein kann.
Muss der besserverdienende Elternteil automatisch zahlen?
Nicht automatisch. Der betreuende Elternteil erfüllt seine Unterhaltspflicht durch die Betreuung (§ 1606 BGB). Nur wenn die Einkommensverhältnisse extrem auseinandergehen und der andere grundsätzlich zahlen könnte, kann die Pflicht ganz oder teilweise auf ihn übergehen – aber nur dann. Die Anwendung des BGH-Urteils ist also eingeschränkt.
Was passiert, wenn es bereits einen Unterhaltstitel gibt?
Ein bestehender Unterhaltstitel kann selbst bei fehlender Leistungsfähigkeit vollstreckt werden, solange er nicht aufgehoben oder abgeändert wird. In solchen Fällen sollte schnellstmöglich ein Abänderungsantrag beim Familiengericht gestellt werden, um zukünftige Forderungen oder Schulden zu vermeiden.
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