Unterhalt trotz Verzichtserklärung – das klingt erstmal endgültig. Doch was passiert, wenn sich die Lebensumstände drastisch ändern? In diesem Beitrag analysiere ich einen konkreten Fall und erkläre, wann ein nachträglicher Anspruch auf nachehelichen Unterhalt trotz vorherigem Verzicht bestehen kann.
Scheidung mit Verzicht – ein typischer Fall
In der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Ehepartner in einem gerichtlichen Vergleich auf zukünftige Unterhaltsansprüche verzichten. So war es auch in dem Fall eines Ehepaars, das sich nach sechs Jahren Ehe scheiden ließ. Nach zwei Jahren Trennungsunterhalt wurde im Scheidungsverbund vereinbart, dass die Frau noch rund ein Jahr nachehelichen Unterhalt erhält und anschließend vollständig auf weitere Ansprüche verzichtet. Diese Regelung wurde vom Gericht genehmigt und die Scheidung wurde rechtskräftig.
Wortlaut der Vereinbarung
In der getroffenen Vereinbarung stand wörtlich: X erhält bis Monat/Jahr einen monatlichen Unterhalt in Höhe von Y Euro und erklärt den vollständigen Verzicht auf jegliche weitere Unterhaltsansprüche.
Dieser klare Wortlaut soll Rechtssicherheit schaffen – doch wie belastbar ist eine solche Verzichtserklärung wirklich?
Erwerbsunfähigkeit nach der Scheidung
Die zentrale Frage: Was passiert, wenn die verzichtende Person vor Ablauf des vereinbarten Unterhalts plötzlich dauerhaft erwerbsunfähig wird? Kann dann trotzdem ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt bestehen?
Grundsatz des § 1576 BGB
Gemäß § 1576 BGB ist nachehelicher Unterhalt auch dann zu zahlen, wenn einer der Ehegatten krank oder gebrechlich ist und deshalb nicht in der Lage, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Der sogenannte „Krankenunterhalt“ ist also ausdrücklich gesetzlich geregelt.
Verzicht versus geänderte Lebensumstände
Ein wirksamer Unterhaltsverzicht kann durchbrochen werden, wenn die Lebensumstände sich so drastisch ändern, dass der Verzicht sittenwidrig erscheint. Dies kann laut ständiger Rechtsprechung dann gegeben sein, wenn zum Zeitpunkt der Vereinbarung die spätere Erwerbsunfähigkeit nicht absehbar war und zu einer unzumutbaren Härte führt (BGH, Urteil vom 12. April 2006 – XII ZR 240/03).
Scheidungsfolgenvereinbarung Druck vor Scheidung? 👆Sittenwidrigkeit und ihre Voraussetzungen
Die Berufung auf Sittenwidrigkeit ist rechtlich möglich, aber an hohe Hürden geknüpft.
Zeitpunkt der Vereinbarung entscheidend
Die Bewertung, ob ein Vergleich sittenwidrig ist, richtet sich nach den Umständen im Zeitpunkt seines Abschlusses. War damals schon erkennbar, dass eine Erwerbsunfähigkeit eintreten könnte, spricht dies gegen eine spätere Anfechtung.
Maßstab der Unzumutbarkeit
Eine nachträgliche Unzumutbarkeit kann anerkannt werden, wenn durch Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder andere schwerwiegende Gründe der Lebensunterhalt gefährdet ist und keine anderen Sicherungssysteme (z. B. Grundsicherung, Erwerbsminderungsrente) greifen.
Absicherung Ehefrau Grundbucheintrag: Was wirklich zählt 👆Rolle der Sozialhilfeträger
Spannend wird es, wenn die verzichtende Person staatliche Hilfe beantragt.
Rückgriff auf den Ex-Ehegatten
Sozialleistungsträger wie das Jobcenter oder Sozialamt prüfen, ob ein Unterhaltsverzicht tatsächlich wirksam ist. Gemäß § 94 SGB XII geht ein Unterhaltsanspruch auf den Träger über, wenn dieser Leistungen gewährt. Besteht also rechtlich ein Unterhaltsanspruch, obwohl er zuvor ausgeschlossen wurde, könnte der Träger diesen dennoch geltend machen.
Sozialrecht versus Zivilrecht
Im Sozialrecht zählt weniger der Wortlaut der Verzichtserklärung, sondern vielmehr die aktuelle Bedürftigkeit und die Frage, ob eine Unterhaltspflicht trotz der zivilrechtlichen Vereinbarung bestehen kann.
Unterhaltsvorschusskasse Pfändungsfreigrenze gekürzt? 👆Prozessuale Optionen bei Streit
Falls die betroffene Person glaubt, trotz Verzicht Anspruch zu haben, stehen verschiedene Wege offen.
Antrag auf Abänderung gemäß § 313 BGB
Ein bereits geschlossener Vergleich kann nach § 313 BGB angepasst werden, wenn eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegt. Voraussetzung ist, dass sich wesentliche Umstände nachträglich und unvorhersehbar geändert haben.
Klage auf nachehelichen Unterhalt
Auch eine direkte Klage auf Krankenunterhalt ist möglich. Das Familiengericht prüft dann, ob trotz vorherigem Verzicht nun eine existenzbedrohende Lage vorliegt, die eine Rücknahme des Verzichts rechtfertigt.
Umgangsrecht Ferien Vater durchsetzen 👆Rechtsprechung im Überblick
In der Rechtsprechung sind nur wenige Fälle erfolgreich gewesen, in denen trotz Verzicht doch noch Unterhalt zugesprochen wurde.
BGH Urteil vom 20.11.2013 – XII ZB 277/12
In diesem Fall bestätigte der Bundesgerichtshof, dass eine Anpassung oder Durchbrechung des Unterhaltsverzichts möglich ist, wenn die neue Lebenssituation unvorhersehbar und existenzbedrohend ist.
Grenzen der Auslegung
Gleichzeitig stellt der BGH klar, dass nicht jede nachträgliche Verschlechterung eine Sittenwidrigkeit begründet. Der Maßstab ist streng, und eine allgemeine wirtschaftliche Not reicht dafür nicht aus.
Umgangsrecht Vater Sorgerecht Beantragung jetzt durchsetzen 👆Bedeutung der Formulierungen im Vergleich
Entscheidend für die Beurteilung ist oft der konkrete Wortlaut des Vergleichs.
Absoluter versus relativer Verzicht
Ein „vollständiger und endgültiger Verzicht“ schließt mehr aus als eine „derzeitige“ Verzichtserklärung. Je konkreter und ausschließender der Wortlaut, desto schwerer ist eine spätere Durchbrechung.
Einzelfallprüfung entscheidend
Jede Bewertung erfolgt einzelfallbezogen. Eine pauschale Aussage, dass ein Verzicht immer oder nie durchbrochen werden kann, ist juristisch nicht haltbar.
Doppelte Ehe Deutschland Ausland: Gefahr einer Straftat? 👆Sozialethische Erwägungen
Manchmal spielen auch moralische Argumente eine Rolle. Besonders dann, wenn eine Person lebenslang auf gemeinsame Kinder verzichtet hat oder im Vertrauen auf eine finanzielle Absicherung auf berufliche Chancen verzichtet hat.
Bedeutung gemeinsamer Lebensplanung
War der Verzicht Bestandteil eines größeren gemeinsamen Lebensplans, etwa die Betreuung gemeinsamer Kinder, kann dies bei der gerichtlichen Auslegung berücksichtigt werden.
Scheidung Streit Vermögensaufteilung plötzlich unfair 👆Wann lohnt sich ein Rechtsmittel?
Betroffene sollten genau prüfen, ob eine neue Klage realistische Erfolgsaussichten hat.
Einschätzung durch Fachanwalt
Gerade bei schwierigen Abwägungsfällen ist es sinnvoll, eine rechtliche Ersteinschätzung einzuholen. Fachanwälte für Familienrecht kennen die Rechtsprechung im Detail und können beurteilen, ob ein Unterhaltsanspruch trotz Verzicht realistisch durchsetzbar ist.
Strategisches Vorgehen
Ein strategisch kluger Weg kann sein, zunächst einen Antrag auf Beratungshilfe zu stellen und dann mit rechtlicher Unterstützung weitere Schritte einzuleiten – vor allem, wenn bereits Sozialleistungen bezogen werden.
Geld vom Kind einbehalten rechtlich erlaubt? 👆Fazit
Ein Unterhaltsverzicht im Rahmen eines Scheidungsvergleichs ist grundsätzlich verbindlich – zumindest auf den ersten Blick. Doch das Familienrecht kennt keine absolute Endgültigkeit, wenn sich die Lebensrealität der betroffenen Person drastisch verändert. Unterhalt trotz Verzichtserklärung kann dann doch wieder Thema werden, wenn existenzielle Gründe wie Erwerbsunfähigkeit hinzukommen und der ursprüngliche Verzicht sich als sittenwidrig oder unzumutbar herausstellt. Dabei ist entscheidend, ob die neuen Umstände zum Zeitpunkt der Vereinbarung absehbar waren und ob sie das Gleichgewicht der damaligen Einigung erschüttern.
Wer also befürchtet, trotz einer Verzichtsklausel später doch wieder Unterhalt leisten zu müssen – oder wer glaubt, trotz einer Verzichtserklärung einen Anspruch zu haben –, sollte die Formulierung im Vergleich genau prüfen lassen. Denn wie dieser Fall zeigt, kann Unterhalt trotz Verzichtserklärung in bestimmten Ausnahmefällen wieder aufleben. Die Schwelle ist hoch – aber nicht unerreichbar.
Zugewinnausgleich Zwischenzahlung richtig regeln 👆FAQ
Kann ich trotz Verzicht auf Unterhalt später doch noch Unterhalt verlangen?
Ja, wenn sich Ihre Lebensumstände gravierend ändern und der ursprüngliche Verzicht dadurch als sittenwidrig angesehen werden kann, etwa bei unerwarteter Erwerbsunfähigkeit.
Was bedeutet „sittenwidrig“ im Kontext eines Unterhaltsverzichts?
Ein Verzicht gilt als sittenwidrig, wenn er unter Bedingungen abgeschlossen wurde, die sich im Nachhinein als extrem benachteiligend herausstellen – zum Beispiel bei späterer schwerer Krankheit.
Ist ein gerichtlicher Unterhaltsverzicht immer endgültig?
Nicht zwangsläufig. Auch ein gerichtlich genehmigter Verzicht kann bei späterer unzumutbarer Härte überprüft und ggf. aufgehoben werden. Das ist jedoch selten und nur unter engen Voraussetzungen möglich.
Was prüft das Gericht bei einem späteren Unterhaltsanspruch?
Das Gericht prüft, ob die jetzige Lage unvorhersehbar und existenzbedrohend ist und ob eine Unterhaltspflicht des Ex-Partners wiederhergestellt werden kann.
Können Sozialbehörden trotz Verzicht Unterhalt vom Ex-Partner fordern?
Ja, wenn staatliche Leistungen bezogen werden, kann der Sozialhilfeträger versuchen, beim Ex-Partner Regress zu nehmen, sofern die Verzichtsklausel rechtlich angreifbar ist.
Gilt der Verzicht auch für den sogenannten Krankenunterhalt?
Grundsätzlich ja, aber bei drastischer gesundheitlicher Verschlechterung kann auch ein Anspruch auf Krankenunterhalt entstehen – trotz ursprünglicher Verzichtserklärung.
Was ist der Unterschied zwischen absolutem und relativem Unterhaltsverzicht?
Ein absoluter Verzicht schließt sämtliche zukünftigen Ansprüche aus, während ein relativer Verzicht nur für bestimmte Zeiträume oder Situationen gilt. Das beeinflusst die spätere Durchsetzbarkeit erheblich.
Welche Rolle spielt die Geschäftsgrundlage bei der Aufhebung eines Vergleichs?
Wenn sich die Geschäftsgrundlage der Vereinbarung nachträglich gravierend geändert hat (§ 313 BGB), kann ein Antrag auf Abänderung gestellt werden.
Wie hoch sind die Erfolgsaussichten bei einer Klage trotz Verzichtserklärung?
Die Chancen hängen stark vom Einzelfall ab. Ohne nachweislich extreme Änderung der Umstände sind die Erfolgsaussichten gering, aber nicht ausgeschlossen.
Sollte ich mir bei Unsicherheit rechtlichen Rat holen?
Unbedingt. Ein Fachanwalt für Familienrecht kann beurteilen, ob ein neuer Unterhaltsanspruch trotz Verzichtserklärung rechtlich durchsetzbar ist. Eine fundierte Einschätzung ist essenziell.